Nach der neuen Richtlinie sind ALLE auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistungen ab sofort im Land des Verbrauchers umsatzsteuerpflichtig. Das heißt mit anderen Worten und für unseren Geschäftsbereich, dass wir als Verkäufer in jedem einzelnen Land, in dem ein Kunde wohnt, der bei uns Musik downloaded, eine Umsatzsteuererklärung abgeben müssen. Wir müssen natürlich auch jedem Kunden die an seinem Wohnsitz geltende Umsatzsteuer berechnen und entsprechend auf der Rechnung ausweisen. Die für kleine Unternehmen im Bundeszentralamt für Steuern eingerichtete sogenannte "kleine einzige Anlaufstelle" (KEA) erleichtert hier nur unwesentlich. (Allein die Info zu den Mehrwertsteuersätzen innerhalb der EU ist ein 29-seitiges Dokument, was durchgearbeitet und verstanden werden möchte …)
Die neue Mehrwertsteuersystemrichtlinie lässt sich meines Erachtens als ein indirektes Betriebsverbot für Kleinunternehmen interpretieren. Die EU hat diese Änderungen mit einem guten Vorsatz beschlossen. Seit Jahren erbringen multinationale Konzerne ihre elektronischen Dienstleistungen steuerlich gesehen aus Ländern, die einen möglichst niedrigen Umsatzsteuersatz haben. Diese Form von Steuerflucht zu unterbinden ist ein Ansinnen, was durchaus als Wunsch nach einer größeren Steuergerechtigkeit verstanden werden kann. Wobei sich auch mit den neuen Regelungen abgesehen von noch mehr Bürokratie kaum etwas ändern wird. Es wird schon allein deshalb kaum mehr Gerechtigkeit geben, da multinational tätige Firmen auch weiterhin immer neue Möglichkeiten von ihren Anwälten ausarbeiten lassen werden, um ganz legal keine oder nur sehr geringe Steuern zu zahlen.
Da Kleinunternehmen die neuen Richtlinien bezüglich der Umsatzsteuer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet kaum umsetzen werden können, kommt das neue Gesetz einer Marktbereinigung bei gleichzeitiger Stärkung der wirtschaftlich Starken gleich. Um das Steuerproblem (und noch einige andere Probleme) zu lösen, gäbe es nur eine Möglichkeit, nämlich die Konzerne zu verbieten, was natürlich dem widerspricht, was in unserem Staat als „Freiheit“ definiert wird. In der Praxis geschieht durch die neue Richtlinie nichts anderes, als dass Kleinunternehmern als Folge der neuen Gesetze auf indirektem Wege ein Wirkungsverbot erteilt wird.
Das ganze ist ein Paradebeispiel für die Ohnmacht des Staates, der versucht etwas zu regulieren, auf das er schon lange keinen Einfluss mehr ausüben kann, weil die Macht und die wirklichen Gesetze, die unseren Alltag bestimmen, ausserhalb des staatlichen Hoheitsbereiches liegen. Unsere Regierungen und Politiker üben innerhalb dieses Systems die Rolle von Verwaltern aus. Sie verwalten die Interessen von multinational agierenden Machtkonzentrationen wie z.B. von Konzernen. Und als Wähler entscheiden wir uns alle paar Jahre, wer die Interessen dieser Machtkonzentrationen verwalten soll. Wir bezeichnen das im alllgemeinen Sprachgebrauch weiterhin als Demokratie, weil es einfacher ist, weiter daran zu glauben, die Politik würde für unsere Interessen eintreten. Und wir glauben weiter daran, in einer freien Marktwirtschaft zu leben, in der alle die gleichen Rechte und Chancen haben …
Und noch ein paar Gedanken zum Thema Onlinehandel und kleine Händler …
Bei „Danza y Movimiento“ gibt es Musik aus Lateinamerika seit 1995, weil uns die Arbeit mit dieser Musik Spass macht. Als wir 1998 unseren ersten warenkorbgestützten Onlineshop eröffneten, gab es Amazon noch gar nicht in Deutschland. Bis 2006 hatten wir auch ein Ladengeschäft in Hamburg. Mit den hier genannten Tätigkeiten (Ladengeschäft, Versandhandel, Downloads über eigene Plattform) haben wir nie wirklich Geld verdient. Wir haben in diesen Jahren beobachten können, wie es Konzerne im Bereich der Musik geschafft haben, den gesamten individuellen und kundenorientierten stationären Fachhandel von der Bildfläche zu fegen. Gleiches haben wir in den vergangenen Jahren im Onlinehandel beobachten können. Schaut hin, wer noch übrig geblieben ist … Auch wir werden unseren Onlineshop zum Verkauf von CDs und DVDs in Kürze schließen.
Soweit die Mechanismen, auf deren Grundlage sich der Markt von selber bereinigt.
Dazu beigetragen, dass kleine Händler kaum eine Chance zum Überleben haben, hat im Bereich des Onlinehandels insbesondere auch eine "verbraucherfreundlich" genannte Gesetzgebung. Ständig neue Vorschriften und Regulierungen stellen kleine Händler vor Probleme, die nur durch Investitionen zu lösen sind, die im Verhältnis zu ihrem Umsatz unverhältnismässig hohe Kosten verursachen. Wer sich ein wenig mit den Gesetzen auskennt wird im Internet viele Shops finden, die eine ganze Reihe von Änderungen der letzten Jahre einfach ignoriert oder vielleicht auch gar nicht mitbekommen haben. (Ignorieren ist so lange möglich, bis in Deutschland die nächste Abmahnung ins Haus kommt ...) Grosse Firmen bezahlen solche Änderungen aus ihrer Portokasse. Wobei auch grosse Händler selten die gesetzlichen Vorschriften komplett umsetzen. Ich habe z.B. noch nie bei meinen privaten Musikeinkäufen im iTunes-Store eine korrekte Rechnung erhalten. Aber ich werde deshalb kaum gegen iTunes vorgehen, da das viel zu aufwändig wäre. (Anders herum lassen immer mal wieder Verbraucher ihren Frust bei kleinen Händlern ab. Die sind greifbar und erreichbbar und werden entsprechend oftmals für kleinste Vergehen von frustrierten Verbrauchern angegriffen. Ich sage das nur aus eigener Erfahrung heraus.)
Kleine Händler kapitulieren angesichts der staatlichen Bemühungen, die Rechte der Kunden zu stärken, einer nach dem anderen. Grundsätzlich war und ist nichts gegen die Ideen hinter diesen Gesetzen im Sinne der Verbraucher einzuwenden. Genau so wenig wie gegen die Besteuerung im Land des Verbrauchers, also die Mehrwertsteuersystemrichtlinie, von der weiter oben die Rede war, etwas einzuwenden ist. Aber welcher kleine Shop ist in der Lage, so etwas kostendeckend umzusetzen?
Unterm Strich verschwinden wir alle. Und das ist in unserem marktwirtschaftlichen System Prinzip. Uns geht es da ähnlich Klein- und Biobauern, Hebammen, Herstellern von Naturprodukten und vielen anderen, die unter der Last von Vorschriften und Regulierungen das Handtuch werfen (müssen). Ganze Berufsgruppen verschwinden von der Bildfläche. All dies geschieht legal und letztendlich im Interesse von international agierenden Machtkonzentrationen. Bei aller „Verbraucherfreundlichkeit“ hat der Verbraucher selber das Nachsehen und trägt gleichzeitig mit jedem Kauf bei einem Monopolisten dazu bei, dass die Vielfalt zur Einfalt wird und nur Monopole überleben.
Matthias